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Mitte Juni erscheint mein neuer Essayband: "Jahreszeiten, Landschaften und Schicksale". 



Hier ein kleiner Vorgeschmack:




Frühling auf Capri

 

Soeben hatte Ines das Krankenhaus verlassen. Es kam ihr so vor, als hätte alle Welt sich gegen sie verschworen. Vor zwei Jahren waren beide Elternteile bei einem schweren Verkehrsunfall ums Leben gekommen. Ein Onkel lebte noch. Er war Vater Bruder und Kapitän auf einem großen Kreuzfahrtschiff und die meiste Zeit des Jahres unterwegs. Ab und zu bekam Ines einen Anruf oder eine Postkarte von irgendwo auf der Welt. Ja und dann hatte Ines noch eine Großmutter, aber die lebte in einem Seniorenwohnheim und bekam durch ihre Alzheimererkrankung nicht mehr viel mit. So war ihr gar nicht bewusst, dass Tochter und Schwiegersohn tot waren. Ines selbst drang auch kaum mehr zu ihr durch. Es gab Tage, da erkannte sie die alte Frau und beim nächsten Mal klingelte sie der Schwester, weil ein Fremder in ihr Zimmer gekommen war. Ines beschränkte ihre Besuche auf ein Mindestmaß. Sie ertrug es nur sehr schlecht, wie sie die alte Frau verfallen sah. Ines war jetzt Anfang 20 und praktisch allein auf der Welt. Sie hatte voriges Jahr Abitur gemacht und im Herbst mit dem Studium der Germanistik und Geschichte fürs Lehramt am Gymnasium begonnen. Finanziell brauchte sie sich, Gott sei Dank, nicht auch noch Sorgen machen. Die Eltern hatten ihr ein Wohnhaus in München-Pasing hinterlassen, in dem sie jetzt wohnte. Auch Bargeld war so viel vorhanden, dass Ines ihr Studium  bestreiten und davon leben konnte. So gesehen war alles in Ordnung. Aber in Wirklichkeit war gar nichts in Ordnung, das wusste sie jetzt ganz genau. Schon seit dem letzten Jahr hatte sie immer wieder Kopfschmerzen und Schwindelattacken. Jetzt hatte man hier im Krankenhaus München rechts der Isar eine CT-Aufnahme und eine Kernspintomographie von ihrem Kopf erstellt und die traurige Gewissheit erlangt, dass Ines einen Gehirntumor hatte und zwar in der Gegend des Kleinhirns, an einer recht unzugänglichen Stelle und dann wusste man auch nicht; ob er gutartig war oder ob tatsächlich Krebs in ihrem Körper wucherte. Ines konnte nun wählen, zwischen Pest und Cholera, oder besser gesagt: Sie konnte den Tumor sich ungehindert entfalten lassen und würde noch ein bis zwei Jahre einigermaßen normal und mit starken Medikamenten leben können und dann im Rollstuhl enden und vielleicht auch nicht mehr richtig sprechen können, oder sie ließ sich in sechs Wochen, so lange hatten ihr die Ärzte noch Bedenkzeit gegeben, operieren. So oder so: es könnte gut ausgehen und die Ärzte könnten sie heilen, oder aber es stand ihr womöglich ein langer Leidensweg mit Chemotherapie und Bestrahlungen bevor, wobei man auch da nicht wusste,  wie  es  ausgehen würde.  Doch  in  jedem Fall, es würde eine sehr gefährliche Operation sein, das hatten die Ärzte ausdrücklich betont. Sie könnte ins Koma fallen und für den Rest ihres Lebens an Schläuchen hängen. Schlimmstenfalls könnte sie die OP nicht überleben, so hatten die Ärzte gesagt. Ines wusste nicht, was schlimmer war, als lebender Leichnam noch jahrelang im Bett zu liegen, oder dann lieber gleich bei dem Eingriff zu sterben. Sie haderte mit dem Schicksal, das ihr so eine Entscheidung für ihr eigenes Leben abverlangte. Sie kannte eigentlich Niemanden, mit dem sie darüber reden konnte. Gut, sie hatte schon Freunde, aber die waren alle in ihrem Alter und hatten bei weitem noch nicht so viele Schicksalsschläge zu überstehen gehabt. Ines fühlte sich so richtig allein mit ihren Ängsten und anderen Gefühlen, bis hin zur Wut, dass es sie so schrecklich traf. Die Ärzte hatten ihr empfohlen, die psychologische Beratungsstelle aufzusuchen. Doch was sollte das bringen, die Entscheidung musste sie selbst treffen. Und fremde Menschen, die nichts von ihrem bisherigen Leben wussten und die ihr vielleicht noch nicht mal sympathisch waren, wie konnten die ihr helfen? Ines fuhr erst einmal nach Hause. Dort legte sie sich auf die Couch und schlief vor Erschöpfung tief und fest ein und dieser Schlaf war es, der ihrem Leben eine deutliche Wendung geben sollte, doch das wusste Ines zu diesem Zeitpunkt noch nicht.as sollte das bringen, die Entscheidung musste sie selbst treffen. Und fremde Menschen, die nichts von ihrem bisherigen Leben wussten und die ihr vielleicht noch nicht mal sympathisch waren, wie konnten die ihr helfen? Ines fuhr erst einmal nach Hause. Dort legte sie sich auf die Couch und schlief vor Erschöpfung tief und fest ein und dieser Schlaf war es, der ihrem Leben eine deutliche Wendung geben sollte, doch das wusste Ines zu diesem Zeitpunkt noch nicht.